Die Tannheimer Kirchenkrippe
Die Figuren der Tannheimer Kirchenkrippe können als Juwel der barocken Volkskunst bezeichnet werden. Es handelt sich dabei größtenteils um prächtig bekleidete Figuren mit ausdrucksvoll geschnitzten Köpfen und Gliedmaßen. Adam und Eva mit den drei Teufeln sind vollplastisch geschnitzt, ebenso alle Tiere. Das Jesuskind sowie die Kinderköpfe der Kindermordgruppe sind aus Wachs. Die Figuren stammen offensichtlich aus verschiedenen Epochen oder zumindest haben verschiedene Hände daran gearbeitet, da sie in Größe, Ausdruck und Qualität der Ausführung Unterschiede aufweisen. Ein Großteil der Figuren stammt aus dem 18. Jahrhundert und wurde vermutlich nach der Säkularisierung aus einem bayrischen Kloster angekauft. Ursprung, Herkunft und Alter der Figuren konnten bis heute nicht eindeutig festgestellt werden.
Der ursprüngliche barocke Krippenberg der Tannheimer Kirchenkrippe, wie er auf alten Fotos noch zu sehen ist, ging verloren. In Form einer Wechselkrippe wurden damals neben der Geburt Christi auch noch andere biblische Szenen, wie der Sündenfall von Adam und Eva, die Verkündigung, Herodes und der Bethlehemitische Kindermord, die Beschneidung Jesu, Jesus im Tempel unter den Schriftgelehrte und die Heilige Familie in Nazareth sowie die Hochzeit zu Kana dargestellt. Bis in die 1940-er Jahre wurde die Krippe regelmäßig aufgestellt, dann verschwanden die Figuren in der Versenkung, sprich in einem Schrank auf der Empore der Tannheimer Kirche.
Die deutsche Fotografin Erika Groth-Schmachtenberger aus München, die sich insbesondere für alpenländische Landschaften, Brauchtum und Handwerk als Bildmotive interessierte und öfters ihren Urlaub im Tannheimer Tal verbrachte, veröffentlicht im Dezember 1960 im „Bayrischen Krippenfreund“ einen Artikel über die Tannheimer Kirchenkrippe unter dem Titel "Ich entdecke eine Barockkrippe": „Schneidermeister Peterlunger ist zugleich Mesner in seinem Kirchdorf Tannheim in Tirol. Bei ihm sprach ich in meinen Ferientagen vor, da ich in der schönen alten Barockkirche auf der Empore einige Aufnahmen machen wollte. Mit einem großen Schlüsselbund in der Hand schritt er vor mir her und führte mich über eine schmale alte Wendeltreppe zur Empore. In einer Ecke stand ein prächtiger alter Schrank, mit Schnörkeln bemalt, der mir wegen seiner Kostbarkeit gleich aufgefallen war. Nach meinem Befragen, was sich darin verberge, meinte der Mesner bescheiden: „Alte Krippenfiguren sein halt drein“, aber die würden seit langer Zeit nicht mehr aufgestellt werden, das nehme zu viel Zeit in Anspruch und die Kinder täten dann immer daran herumzupfen und so fort. Der Schlüssel drehte sich im Schloss und mit Geknarre ging die Tür auf. Welch ein Wunder tat sich da auf einmal vor meinen Augen auf! Fünf Reihen voll prächtiger, gestickter Krippenfiguren in Samt und Seide gekleidet, die Gesichter aus Holz zierlich geschnitzt, standen da, wie die Zinnsoldaten, gerade, als wenn sie nun alle gleich heraustreten wollten. Das Gold glänzte und die falschen Edelsteine funkelten an ihnen, es war eine großartige Pracht. Ich zählte an die zweihundert Figuren, wovon jede ein kleines Kunstwerk für sich darstellte, ein Kunstwerk der Barockzeit. ………Natürlich erlaubte mir der Mesner, etwas davon zu fotografieren, und da kam auch schon sein kleiner Sohn Thomas, der Ministrant ist und brachte einen großen Korb, packte alles, was mir besonders gefiel hinein, damit ich es an der Sonne fotografieren konnte…………“
Mitte der 1980er Jahre werden die Figuren aus dem Dornröschenschlaft geholt. Dr. Helmut Rief und der Obmann des Außerferner Krippenvereins RR Alfons Kleiner waren schon seit längerem daran interessiert, die wertvollen Krippenfiguren wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und durch das Entgegenkommen des Tannheimer Pfarrers Johannes Bäuml war es 1986 möglich. Auf Initiative von RR Alfons Kleiner taten sich einige von dem Vorhaben begeistere Männer zusammen und nach 48 Jahren wurden die Krippenfiguren zu Weihnachten 1986 im linken Seitenaltar der Pfarrkirche St. Nikolaus in Tannheim wieder aufgestellt. Da der Krippenberg fehlte, musste eine neue „Bühne“ für die Figuren erstellt werden. Tischlermeister Ferdinand Müller aus Tannheim-Berg fertigte den Unterbau an, auf dem mit Kisten, Wurzelstöcken und Moosfladen ein provisorischer Krippenberg aufgerichtet wurde. Max Tausche baute eine Geburtshöhle und Florian Langhans stellte Gebäudeteile aus einer alten Krippe seines Vaters zur Verfügung. Martin Gugger half noch mit Farbe und Sand, die Wege und Pfade einzustreuen, auch dabei waren Museumsvereinsobmann Rudolf Weirather und Wolfgang Scheiber. Als Hintergrund wurden Tannenzweige verwendet. Die Vorderfront des Unterbaus bespannte man mit einem Rupfentuch, das mit Weißtannenzweige und Strohsternen dekoriert wurde. Dann wurde noch eine 1 m hohe Plexiglasscheibe zur Sicherung der wertvollen Krippenfiguren angebracht. Das Ganze sollte nur als Übergangslösung dienen.
Die so präsentierte Kirchenkrippe fand großen Anklang bei der Talbevölkerung. Viele Tannheimertaler konnten sich noch daran erinnern, als sie in ihrer Kinderzeit mit ihren Eltern in Tannheim zum „Krippenschauen“ waren. Einheimische und Gäste erfreuten sich an den alten kostbaren Figuren und einige Zeitungen berichteten davon.
In den darauf folgenden Sommermonaten machte sich Florian Langhans im Keller seines Hauses daran, den Krippenberg neu zu gestalten. Ein Hintergrund für die Krippe wurde bei Dr. Franz Pernlochner in Thaur in Auftrag gegeben. Unter Anleitung von Erika und Barbara Langhans wurden von einigen freiwilligen Helferinnen die Krippenfiguren erstmals vorsichtig gereinigt. Zu Weihnachten 1987 waren die altehrwürdigen Krippenfiguren mit dem neuen Krippenberg – diesmal durch eine Alarmanlage gesichert – wieder in der Pfarrkirche zu sehen. In dieser Form war die Krippe drei Jahre jeweils zur Weihnachtszeit zu bewundern - bis zum Beginn der umfangreichen Kirchenrenovierung, dann begann wieder ein mehrjähriger Dornröschenschlaf für die Tannheimer Kirchenkrippe.
In der Zwischenzeit wurde klar, dass die Krippe in der bestehenden Form nach der Renovierung nicht mehr aufgestellt werden kann und Florian Langhans plante nochmals eine komplette Neugestaltung. Ziel war es, die Krippe so zu konzipieren, dass bei Auf- und Abbau die neu restaurierten Kirchenwände nicht mehr berührt werden und Beschädigungen ausgeschlossen werden können. Auch das Gesamtbild der Krippe sollte sich besser in den Kirchenraum einfügen.
Im Frühjahr 1995 erstellte Florian Langhans ein Modell im Maßstab 1:4, um bei Pfarrer Donatus Wagner und dem Pfarrkirchenrat für das Vorhaben zu werben. Auch Pfarrer Wagner war die Kirchenkrippen ein Anliegen und er hat das Projekt von Anfang an unterstützt. Nach Zustimmung aller Beteiligten ging es an die Umsetzung. Florian Langhans baute auf 12 m² ein Krippengelände, das der orientalischen Landschaft um Bethlehem nachempfunden ist - im Hintergrund ist der See Genezareth zu sehen. Der akademische Maler Wernfried Poschusta konnte als Hintergrund- und Fassmaler für die Krippe gewonnen werden. Mit dem Entwurf der architektonisch zum Innenraum der Kirche passenden Vorderwand der Krippe mit verschiebbaren Glasscheiben wurde der Architekt Franz Nagel aus Füssen beauftragt. Der Unterbau der Krippe wurde von Franz Perle aus Rauth und Xaver Rief aus Schattwald erstellt.
1996 wurden von Florian Langhans, Helga Meusburger und Barbara Langhans die Krippenfiguren, die bis dahin im Keller des Widums untergebracht waren, an den neuen Aufbewahrungsort in der Sakristei der Pfarrkirche gebracht. Dabei ergab sich die Notwendigkeit, die stark verschmutzen und teilweise durch Feuchtigkeit beschädigten Figuren gründlich zu reinigen und zu reparieren. Die ersten Restaurierungsversuche von Helga und Barbara stellen Pfarrer Donatus Wagner zufrieden und man entschloss sich zu einer umfangreichen Restaurierung durch Laienhand, da eine Restaurierung durch das Denkmalamt unerschwinglich gewesen wäre. Von Helga Meusburger und Barbara Langhans wurden rund 80 Figuren zum Teil komplett zerlegt und das Innenleben erneuert (die Eisendrähte, mit denen Kopf und Gliedmaßen der einzelnen Figuren verbunden sind, war gerostet und abgebrochen), die Kleider gereinigt oder wenn notwendig neu gemacht. Alle beschädigten Holzteile wurden von Josef Meusburger nachgeschnitzt und professionell ersetzt und die Engel bekamen neue Flügel – geschnitzt und vergoldet - ursprünglich waren die Flügel aus bemaltem Pappkarton. Darüber hinaus wurden alle Standplatten der Figuren erneuert und Josef Meusburger schnitzte eine zweite Schafherde.
Am 7. Dezember 1997 wurde die „Neue Kirchenkrippe“ bei einem Festgottesdienst anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des Krippenvereins von Pfarrer Donatus Wagner gesegnet. Seither wird die Krippe jedes Jahr um den 8. Dezember aufgestellt und nach dem 2. Februar wieder abgebaut, was immer mit einem erheblichen Aufwand verbunden ist. Der Aufbau der Krippe nimmt vier bis fünf Stunden in Anspruch, dabei sind bis zu fünf und mehr Personen im Einsatz, um die schweren Teile zu transportieren und zu platzieren. Für das Aufstellen der Figuren und die Gestaltung des Geländes und der Botanik werden weiter sechs bis acht Stunden benötigt.
Nachdem Florian Langhans aus gesundheitlichen Gründen den Aufbau der Krippe nicht mehr leiten konnte, hat sich Walter Rief aus Schattwald der Sache angenommen und sich um die Tannheimer Kirchenkrippe besonders verdient gemacht. Er hat auch einige Verbesserungen durchgeführt und die Beleuchtung auf LED-Technik umgestellt. Im Jahr 2020 haben die Brüder Josef und Johann Zobl die Leitung des Aufbaus des Krippenbergs übernommen. Helga Meusburger und Barbara Langhans waren viele Jahre ein eingespieltes Team beim Aufstellen der Figuren. Seit sich Helga Meusburger als Altersgründen zurückgezogen hat, hilft Paula Rief bei den Figuren mit.
Es bleibt zu hoffen, dass es auch in der Zukunft Menschen gibt, die sich der Pflege der Tannheimer Kirchenkrippe annehmen!
Bericht: Barbara Langhans Fotos: Robert Tatschl, Familie Langhans, Chronik KV- Tannheimertal, Schwarz-Weiß-Bilder unbekannt